Artillerieverein der Stadt Luzern - Gesellschaft zum Wasserturm

BERICHTE

Betriebsbesichtigung VICTORINOX Ibach SZ

13. September 2022

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Einleitung

Weltberühmt ist das patentierte rote Taschenmesser von VICTORINOX mit all seinen Varianten. Doch um diesen Status zu erreichen und zu halten, braucht es Pioniergeist, erfinderisches Geschick, kaufmännisches Fingerspitzengefühl sowie technische Raffinesse zur Qualitätssicherung, Weiterentwicklung und letztendlich auch ein Quantum Glück.

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Rarität: Taschenmesser mit Laserpointer von Wenger (Privatbesitz)

Das «Armeesackmesser»

Das gegen Ende der 1880er-Jahre von der Schweizer Armee geforderte klappbare Soldatenmesser, das auch beim Zerlegen des Standartgewehres 1889 helfen sollte, erhielt 1891, als Modell 1890, mit Griffschalen aus geschwärztem Eichenholz (teilweise mit Ebenholz) und den Werkzeugen: Klinge, Dosenöffner, Schlitzschraubenzieher und Ahle, die Ordonnanzerklärung. Damals verfügte kein Schweizer Unternehmen über die nötigen Produktionskapazitäten, sodass die ersten 15’000 Messer 1891 von der deutschen Messermanufaktur Wester & Co. in Solingen produziert wurden. Ende 1891 übernahm Karl Elseners Messerschmiedegeschäft einen Teil der Herstellung. Auch andere Messerhersteller aus Deutschland und der Schweiz fertigten gleiche Messer und Nachfolgemodelle an. Mit dabei war auch die 1893 mit dem Namen Paul Boéchat & Cie. gegründete Firma Wenger. Seitdem wurden die Messer den Erfordernissen entsprechend durch fünf neue Modelle angepasst, die jedoch überarbeitet und somit in verschiedenen Varianten existieren. Wiederum wurden ältere Modelle von verschiedenen Unternehmen in Deutschland und der Schweiz gefertigt, das Modell 1961 jedoch ausschliesslich in der Schweiz von Victorinox und Wenger. Das derzeit verwendete Soldatenmesser 08 wird nur noch von Victorinox hergestellt.

Die erfolgreiche Elsener Dynastie

Den Grundstein zum Welterfolg des von Karl Elsener 1884 gegründeten Messerschmiedegeschäft, mit Sitz in Ibach SZ, legte Karl Elsener im Jahre 1897, als er sein Taschenmesser nach Bern ins Institut für Geistiges Eigentum (IGE) sandte und dafür den Musterschutz (ähnlich dem heutigen Patentschutz) beantragte, den er folglich auch erhielt. 1897 wurde das originale «Schweizer Offiziers- und Sportmesser» als Handelsmarke geschützt.

VICTORINOX

Was beinhaltet wohl der Name? 1909 wählte Karl Elsener den Vornamen seiner verstorbenen Mutter «Victoria» als Firmenname. Gleichzeitig verwendete er das Kreuz mit Schild, das heutige Victorinox Logo, um sich von Kopien zu schützen.

Im Jahre 1921 wurde der rostfreie Stahl erfunden (Kurzbezeichnung «inox»). Die Kombination mit dem Namen «Victoria» ergibt die neue Marke «Victorinox». Inox leitet sich aus dem französischen inoxidable (nicht mit Sauerstoff verbindbar) somit «rostfrei» ab.
Rostfrei legierter Stahl (Edelstahl) beinhaltet rudimentär maximal 2% Kohlenstoff C für Festigkeit, sowie Chrom Cr für Verschleissfestigkeit, Vanadium V für Zähigkeit und weitere, für die jeweiligen Erfordernisse notwendigen Legierungselemente.

Am 2. Januar 1979 wurde die Einzelfirma Messerfabrik Carl Elsener in die Familien-Aktiengesellschaft Victorinox AG umgewandelt. 1980 erfolgte die grosse Erweiterung der Firma durch den Ausbau der Fabrikations-, Büro- und Lagerfläche von 11 000 m2 auf 27 000 m2.
2005 übernahm Victorinox den Konkurrenten Wenger (Chinesen hatten Interesse an der Firma Wenger angemeldet), seitdem ist die Victorinox AG der alleinige Produzent der patentgeschützten Schweizer Taschenmesser in zahlreichen Ausführungen. Daneben verkauft Victorinox Messer für den Koch- und Küchenbereich sowie Reise- und Outdooraccessoires.

2022 wurde das rote Victorinox Messer 125-jährig.
Heute ist Victorinox ein globales Unternehmen mit fünf Produktkategorien: Schweizer Taschenmesser, Haushalts- und Berufsmesser, Uhren, Reisegepäck und Parfums.

Carl Elsener IV., operativer Firmenchef und auch Verwaltungsratspräsident, arbeitet mit acht Geschwister und zusätzlich drei Ehepartner in der Firma. Von der nächsten, der 5. Generation, sind acht Familienangehörige im Unternehmen tätig.

Betriebsspezifische Daten

Als grösster privater Arbeitgeber des Kanton Schwyz beschäftigt Victorinox in Ibach SZ ca. 1000 Personen, 55 Lernende, Frauen und Männer, Schnupperlehrlinge, 45 Heimarbeitende, gesundheitlich eingeschränkte Personen, somit weltweit ca. 2050 Personen. Gesunde Mitarbeitende sind eine wesentliche Voraussetzung bei Victorinox. Daher werden täglich dreimal in den Produktionsstätten während der Arbeitszeit eine «Balance-Time» eingehalten, bei der unter Anleitung Muskelentspannungs- und Lockerungsübungen praktiziert werden.

Pro Jahr werden 2500 Tonnen Stahl (Outokumpu Stahl) verarbeitet, wobei 1/3 des Materials bei der Verarbeitung als Abfälle anfallen. Stanzabfall und Abfall, der durch Schleifarbeiten im Kühlwasser anfallenden Schleifpartikel, werden ausgefiltert und zu Pellets gepresst. Sie können danach wieder im Hochofen eingeschmolzen und anschliessend somit als Halbfabrikate wiederverarbeitet werden.

Anlässlich des 25-jährigen Recyclingjubiläums von Nespresso hat sich der Kaffeekapsel-Produzent Nespresso mit Victorinox zusammengetan. Aus der Kooperation entstand das Pioneer Taschenmesser, dessen Alox-Schalen zu 100 % aus recycelten Nespresso Kapseln bestehen.
Bedenke: 24 Alu-Espressokapseln ergeben rezykliert, das Material für eine Sackmesserschale!

Als Endprodukt werden pro Arbeitstag 135 000 Messer hergestellt. Die Weiterentwicklung der Produkte ist ein immerwährender Prozess.

Vor der Betriebsführung erhielt jede teilnehmende Person die ALLGEMEINEN SICHERHEITSHINWEISE zugestellt, die strikte einzuhalten waren:

- Geschlossenes Schuhwerk / Wege nicht verlassen.
- Produkte, Maschinen und Anlagen nicht anfassen.
- Aus Sicherheitsgründen ist es untersagt, das Werk unter Alkohol- oder Drogeneinfluss zu betreten.
- Das Zugangsverbot gilt auch für Personen mit Herz- und Kreislauferkrankungen, die einen Herzschrittmacher tragen (starke Magnetfelder), an Epilepsie leiden oder körperlich nicht fit sind.
- Fotografieren, Filmen und Telefonieren sind im Werk verboten.

Der Betriebsführer ist verpflichtet, bei Zuwiderhandlungen dieser Regeln, die fehlbaren Personen von der Führung auszuschliessen.
Darum keine Fotos von der internen Besichtigung

Besichtigung

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Um 09.15 Uhr begrüssten uns (17 Personen) die Herren Rickenbach und Reichmuth im Namen von Victorinox. Danach erfolgte die Einteilung in zwei Gruppen und den Hinweis auf die Sicherheitsvorschriften. Vor dem Betreten des Werkes wurden die Teilnehmenden mit dem Audiosystem (Knopf im Ohr) ausgerüstet, die Besichtigung konnte beginnen.

Wir besuchten folgende Abteilungen:

Schlosserei: Hier werden Unterhaltsarbeiten und neue Stahlkonstruktionen für den Betrieb ausgeführt.

Lehrwerkstatt: Die Lernenden werden nebst der Grundausbildung mit Werkzeug und deren Einsatz, auch in der Handhabung und der Programmierung von CNC-Automaten (Computerized Numerical Control) ausgebildet.

Werkzeugmacherei: Alle von Victorinox entwickelten Werkzeuge (Stanzwerkzeuge, Prägewerkzeuge und weitere) werden für die Produktion, werden selbst hergestellt.

victorinox 5Eine aus alter Zeit übriggebliebene Maschine zum Prägen von Griffschalen

Stanzerei: Messerklingen werden für optimale Qualität im Ölbad gestanzt. Dieser Vorgang ist sehr Lärmintensiv und erfordert daher für die Ohren der Arbeitenden einen speziellen Lärmschutz.

Entgratung: Die gestanzten Messerklingen sind mit Graten behaftet, die mittels einer rotierenden Trommel, in der sich eine bestimmte Menge Messerklingen während einer variablen Laufzeit von 5 – 10 Stunden (je nach Typ) so aneinander reiben, bis sie vollständig entgratet sind.

Härterei: Im Durchlaufofen (laufendes Band) werden die Messerklingen auf ca. 1050°C erhitzt und durch anschliessendes Anlassen derart behandelt, dass die Klinge die gewünschte Härte und Elastizität erhält (rudimentär beschrieben). Das wirkliche Verfahren ist Betriebsgeheimnis. Die internationale Masseinheit der Härteskala wird mit Rockwell bezeichnet. Kürzel: HR (Hardness Rockwell).

Schleiferei: Die beim Schleifen der Messerklingen entstehende Wärme muss durch Wasser, 300 000 Liter pro Stunde, gekühlt werden. Die somit vom Kühlwasser mitgeschwemmten Metallpartikel werden ausgefiltert und wiederverwendet. Das Kühlwasser befindet sich in einem geschlossenen Umlauf und wird jährlich nur einmal komplett ausgetauscht. Um eine optimale Schnitthaltigkeit zu garantieren, werden die Messerklingen auf zwei hundertstel Millimeter genau geschliffen.

Ätzerei: Messerklingen können mittels verschiedenster Verfahren geätzt werden. Vielfach wird mit Salpetersäure oder Königswasser (Salzsäure und Salpetersäure im Verhältnis 3:1) geätzt. Vor Ort konnten wir geätzte Messerklingen mit Firmenaufschriften, Namen, Logos und weitere Ätzarbeiten bestaunen.

Griffmontage Holz: Vor der Montage der Holzgriffe auf das Heft (Stahlgriff), mittels Metallnieten, werden diese beschriftet. Griffe können bedruckt, gefräst und mit Farbe ausgelegt oder mittels Laserverfahren beschriftet werden. Nach dem Zusammennieten werden die Nietenden fein abgeschliffen und poliert.

Taschenmesser Endmontage: Jedes Taschenmesser-Modell, wird computergesteuert und vollautomatisch mit den dazu erforderlichen Teilen zusammengebaut. Besonderheit der Victorinox Taschenmesser: Jedes ausgefahrene Teil schliesst sich beim Einfahren mit einem «Klick» selbständig.

Kontrolle und Versand: Vor dem Verpacken wird jedes Messer (Victorinox produziert über 150 Modelle) auf eventuelle Fehler kontrolliert. Danach werden die Messer für die jeweiligen Aufträge zusammengestellt und verpackt. 80% der gesamten Produktion werden exportiert, 10% werden vom Tourismus beansprucht.

Recycling: «Reach» ist ein europaweiter Standard für Stoffe und Zubereitungen. Victorinox erfüllt sämtliche Richtlinien und Vorschriften. Dank der Umsetzung einer ganzen Bandbreite an Nachhaltigkeitsbestrebungen durfte Victorinox im Jahr 2008 den Firmenpreis der schweizerischen Umweltstiftung entgegennehmen.

Um 11.00 Uhr endete die sehr interessante Betriebsbesichtigung. Vor der Verabschiedung durften wir ein von Victorinox geschenktes Taschenmesser entgegennehmen. Thomas Käppeli bedankte sich im Namen des AVL und überreichte den Herren Rickenbach und Reichmuth «Schoggiwassertürmli».

Danach stand uns noch Zeit zur Verfügung, um im Victorinox Shop zu stöbern oder einzukaufen.

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Um 11.30 Uhr Verschiebung ins Hotel / Restaurant «Wysses Rössli» zum Mittagessen. Der AVL offerierte pro Person Fr. 20.-- an das Mittagessen
Herzlichen Dank!


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Nach dem Mittagessen angeregte Gespräche «weisch no…» und Ausklang…
Für die gute Organisation, herzlichen Dank an unseren Obmann Thomas Käppeli.

Bild und Text: Rolf Lötscher